Zurück zur Übersicht

Warum ist
Interessenvertretung
wichtig?

In unterschiedlichen Kontexten wird die unzureichende Interessenvertretung der Pflege als Problem wahrgenommen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Verbände, Träger, Initiativen, Gewerkschaften und Fachgesellschaften agieren als wichtige Interessenvertretungen der beruflich Pflegenden in politischen Gremien bzw. Netzwerken und finden auch teilweise Gehör im politischen Entscheidungsprozess, wie die Konzertierte Aktion Pflege zeigt. Allerdings fehlen stimmberechtigte Vertreter*innen der Pflege – unter anderem im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem zentralen Selbstverwaltungsorgan im Gesundheitswesen.

Wenn Repräsentant*innen der Pflege an allen relevanten Verhandlungstischen sitzen, Beziehungen zu politischen Entscheider*innen pflegen und somit den politischen Entscheidungsprozess aktiv beeinflussen, kann es zu einer klassischen Win-win-Situation für alle Beteiligten kommen. Neben der höheren Akzeptanz innerhalb der Berufsgruppe können auch „bessere“ Gesetze, Verordnungen etc. für die Praxis gemacht werden – wovon wir alle profitieren.

 

Dennoch adressieren Beschäftigte in der Pflege diese Akteure nur in geringem Maße mit ihren Anliegen bzw. werden nur selten Mitglied, insbesondere in der Altenpflege [1]. Unsere Daten zeigen, dass Pflegende die Vertretung ihrer Interessen oftmals nicht selbst – unter anderem in Verbänden, Gewerkschaften, Initiativen etc. – verantworten, sondern diese Aufgabe bei ihren Einrichtungsleitungen [2] sehen oder der „Politik“ [3] überlassen möchten. Diese Akteure haben jedoch per se andere Interessen als Pflegende. Oder anders gesagt: Pflegende nutzen ihre Verhandlungsmacht aufgrund des Fachkräftemangels nicht aus. Auf der anderen Seite zeigen unsere Daten, dass eine Artikulation berechtigter Interessen durch beruflich Pflegende im Betrieb von den Arbeitgebern häufig als unberechtigte und undifferenzierte Unmutsbekundung wahrgenommen wird [4.] und keine echte Beteiligung [5] stattfindet. Arbeitsniederlegungen und Streiks finden nur selten statt. [6, 7]

Eine der großen Schwierigkeiten der Pflegebranche ist ihre Vielstimmigkeit bzw. dass eigentlich nicht von „der‟ Pflege gesprochen werden kann. Unterschiedliche Trägerstrukturen und vielfältige Verbände mit Partikularinteressen, die unterschiedlichen Finanzierungssysteme [8, 9] erschweren praktikable Lösungen für die gesamte Berufsgruppe, sodass an der Basis kaum eine spürbare Entlastung entsteht. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass von Leitungskräften die politischen Aktivitäten der letzten Legislaturperiode nur teilweise als erfolgreich eingeschätzt wurden. Dies zeigen einige Beispiele aus unserer Delphi-Befragung (die Delphi-Befragung wurde vor der COVID-19-Pandemie durchgeführt):

 

Quelle: Eigene Erhebung (Delphi-Befragung); Hochschule Esslingen: Konzertierte Aktion Pflege: n = 93; Personaluntergrenzen im Krankenhaus n = 86; Pflegepersonal-Stärkungsgesetz: n = 93; Pflegeberufegesetz n = 94; Personaluntergrenzen im Krankenhaus n = 86

Auch die Lobbyarbeit der Interessengruppen der Branche kann gestärkt werden. Vertreter*innen von Verbänden, Trägern, Initiativen, Gewerkschaften und Fachgesellschaften verfügen über spezifische Expertise, die in Prozesse politischer Willensbildung und Gesetzgebung im Sinne einer Problemlösungsorientierung einfließen sollte. Lobbyismus ist per se nichts Verwerfliches – auch wenn der Begriff oftmals negativ besetzt ist –, vielmehr können dadurch gezielt gesellschaftsrelevante Informationen in den politischen Entscheidungsprozess eingebracht werden. Dafür sollte allerdings einiges beachtet werden. Handlungsideen finden Sie hier. Wir sehen in einer aktiven Interessenvertretung, zielorientierter Lobbyarbeit und politischer Mitwirkung – auf Kommunal-, Landes-, Bundes- und europäischer Ebene – eine Chance für die Pflege, die (politischen) Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu verändern.

Doch nicht nur politische Mitgestaltung ist wichtig. Sie können auch auf Kostenträger und Arbeitgeberverbände zugehen. Auch hier werden relevante Entscheidungen getroffen.

Nicht zu vergessen: Nehmen Sie die Gestaltungsmöglichkeiten in Ihrem Arbeitsumfeld wahr. Sie haben im Betrieb weitreichende Möglichkeiten, Ihre Anliegen umzusetzen – für sich und Ihre Kolleginnen und Kollegen. Dies kann auch Ihrer Einrichtung zugutekommen.

Zum Gesundheitssystem

Das deutsche Gesundheitssystem ist komplex und damit auch die Rolle und Position der einzelnen Interessengruppen in diesem System. Aus diesem Grund finden Sie hier ein paar Links, die Ihnen einen ersten Überblick über das Funktionieren des Gesundheitssystems und die Stellung seiner Akteure bietet:

Die Gesundheitspolitik wird auch auf europäischer Ebene mitgestaltet:

 

Projektbezogene
Publikationen

  • Lämmel, N.; Riedlinger, I.; Reiber, K. (2021):
    Interessenvertretung in der Pflege – zu komplex um Arbeitsbedingungen mitzugestalten?
    Blättel-Mink, B. (Hg.): Gesellschaft unter Spannung. Verhandlungen des 40. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2020.
  • Reiber, K.; Fischer, G.; Lämmel, N. (2021):
    Lauter Beifall für stilles Heldentum – Ambivalenzen der Anerkennung für den Pflegeberuf (nicht nur in Pandemiezeiten).
    Pflege & Gesellschaft, 26 (3),  S. 197–207.
  • Riedlinger, I.; Fischer, G.; Höß, T.; Lämmel, N. (2020):
    „Leasing ist wie ein stummer Streik“ – Zeitarbeit in der Pflege.
    AIS-Studien Jahrgang 13, Heft-Nr. 2 (2020), S. 142–157.
  • Riedlinger, I.; Fischer, G.; Höß, T. (2020):
    Pflegeberufe und Arbeitskampf – ein Widerspruch?
    Artus, I.; Bennewitz, N.; Henniger, A.; Holland, J.; Kerber-Clasen, S. (Hg.): Arbeitskonflikte sind Geschlechterkämpfe. Arbeit – Demokratie – Geschlecht Band 27, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 214–228.

Weiterführende
Informationen

  • Artus, I.; Bennewitz, N.; Henniger, A.; Holland, J.; Kerber-Clasen, S. (2020):
    Arbeitskonflikte sind Geschlechterkämpfe.
    Arbeit – Demokratie – Geschlecht Band 27, Münster: Westfälisches Dampfboot.
  • Rudolph, C. und Schmidt, K. (2019):
    Interessenvertretung und Care. Voraussetzungen, Akteure und Handlungsebenen.
    Arbeit – Demokratie – Geschlecht Band 26, Münster: Westfälisches Dampfboot.
  • Schroeder, W. (2018):
    Interessenvertretung in der Altenpflege. Zwischen Staatszentrierung und Selbstorganisation.
    Wiesbaden: Springer VS.
  • Artus, I.; Birke, P.; Kerber-Clasen, S. und Menz, W. (2017):
    Sorge-Kämpfe. Auseinandersetzungen um Arbeit in sozialen Dienstleistungen.
    Hamburg: VSA.

Literaturangaben

[1] Schroeder, W. (2018):
Interessenvertretung in der Altenpflege. Zwischen Staatszentrierung und Selbstorganisation.
Wiesbaden: Springer VS.

[2] Riedlinger, I.; Fischer, G.; Höß, T. (2020):
Pflegeberufe und Arbeitskampf – ein Widerspruch?
Artus, I.; Bennewitz, N.; Henniger, A.; Holland, J.; Kerber-Clasen, S. (Hg.): Arbeitskonflikte sind Geschlechterkämpfe. Arbeit – Demokratie – Geschlecht Band 27, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 214–228.

[3] Schroeder, W. (2018):
Interessenvertretung in der Altenpflege. Zwischen Staatszentrierung und Selbstorganisation.
Wiesbaden: Springer VS.

[4] Riedlinger, I.; Fischer, G.; Höß, T. (2020):
Pflegeberufe und Arbeitskampf – ein Widerspruch?
Artus, I.; Bennewitz, N.; Henniger, A.; Holland, J.; Kerber-Clasen, S. (Hg.): Arbeitskonflikte sind Geschlechterkämpfe. Arbeit – Demokratie – Geschlecht Band 27, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 214–228.

[5] Lämmel, N.; Riedlinger, I.; Reiber, K. (2021):
Interessenvertretung in der Pflege – zu komplex um Arbeitsbedingungen mitzugestalten?
Blättel-Mink, B. (Hg.): Gesellschaft unter Spannung. Verhandlungen des 40. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2020.

[6] Schroeder, W. (2018):
Interessenvertretung in der Altenpflege. Zwischen Staatszentrierung und Selbstorganisation.
Wiesbaden: Springer VS.

[7] Nowak, I. (2017):
Perspektiven von Arbeitskonflikten in der Altenpflege.
In: In: Artus, Ingrid; Bi rke, Stefan; Kerber-Clasen, Stefan; Menz, Wolfgang (Hrsg.): Sorge-Kämpfe. Auseinandersetzungen um Arbeit in sozialen Dienstleistungen. Hamburg: VSA, S. 182-199.

[8] Evans, M.; Wjatscheslaw, G.; Hilbert, J.; Steinke, J. (2012):
„Sociosclerose“: Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehungen in der Sozialwirtschaft wenig zukunftsfähig.
In: TUP – Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, Nr. 5/2012, S. 369-377.

[9] Schroeder, W. (2018):
Interessenvertretung in der Altenpflege. Zwischen Staatszentrierung und Selbstorganisation.
Wiesbaden: Springer VS.